La Valse

Olivia Berckemeyer +
Thomas Zitzwitz


Eröffnung: 23. November 2023, 19:00

Dauer: 24. November — 10. Dezember 2023
Öffnungszeiten: Freitag – Sonntag, 13:00 – 18:00


Alles Walzer!

Klangfarben und Rhythmen entstehen, wandeln sich und verfallen, Motive erscheinen und verschwinden, um leicht verändert neu zu erscheinen und wieder unterzugehen. Maurice Ravel, der viele Tänze zweckentfremdet vertonte, bezeichnete den Walzer, der begrifflich wohl von Friedrich Schiller eingeführt wurde, als „Summum“ der Tänze – vielleicht wegen der anspruchsvollen Rhythmik oder der namensgebenden dynamischen Drehungen.

Die Synkope als Verlagerung einer metrischen Norm ist ein wichtiges Stilelement von Ravels Werk: gefühlt aus dem Takt zu sein, ohne dass man wirklich aus dem Takt ist: Eine äußere Form wird vermeintlich destabilisiert, ohne sie zu verletzen. Rhythmisch-arhythmische Gestaltung und Akzentverschiebung lassen sich in vergleichbarer Form in den Arbeiten von Olivia Berckemeyer und Thomas Zitzwitz wiederfinden.

So wie Ravel die Lebensfreude, die ein Tanz ausdrückt, wertschätzt, finden wir in den Haupträumen zwei Werkserien der Künstler, jeweils eine klassische und eine aktuelle im ungleichen Duett – wie bei einem tanzenden Paar entsteht hieraus der eigentliche Reiz und die Spannung.

Hochparterre

In Olivia Berckemeyers Bodenarbeit Let’s dance finden wir die in Porzellan reproduzierten Atelierschuhpaare vieler ihrer Künstlerfreunde und Wegbegleiter in weiß, schwarz und schwarz-weiß wieder. Die Künstlerin hat die einzelnen Schuhpaare jeweils als Dreiergruppe in limitierter Auflage konzipiert, um den Eindruck einer eingefrorenen Bewegung zu erzeugen, dynamisiert durch die Lichtreflexionen einer Discokugel. Installiert als eine Konstellation aus ein bis drei Paaren je Künstler, stellt sie in Anlehnung an Andy Warhols Dance Diagrams eine Momentaufnahme einer Szene auf einer Spiegelfläche dar; vermutlich keinen Foxtrott, den sowohl Ravel als auch Warhol in ihre Sprache übersetzten. Die Kunst und das Leben als allegorische Sinnfrage und Spurensuche, frei nach dem titelspendenden David Bowie-Song.

Thomas Zitzwitz‘ unbetitelte Malereien von 2008 und 2009 sind sehr frühe Arbeiten aus der Serie seiner Spray Paintings, in der auf gefalteten Leinwänden die Acrylfarbe aufgetragen wird. Vor dem Auge entstehen im aufgespannten Zustand Effekte der räumlichen Verschiebung, Beugung und Biegung, Verwerfung und Schattierung, die mit denen der musikalischen Synkope vergleichbar sind. Während die Arbeit an der Stirnwand unter anderem auch durch ihre Monumentalität beeindruckt und der Betrachter quasi im Vorbeilaufen darin versinkt, wirkt das kleine Querformat atmosphärischer im abstrakten Ausdruck. Die Spannung zwischen der bewussten Konzeption einer Arbeit und den aleatorischen, nur bedingt kontrollierbaren Einflüssen bei der Realisierung führt bei den beiden Formaten zu vollkommen unterschiedlichen Ergebnissen.

Treppenaufgang

Auf dem Wandregal ist Unikat von Olivia Berckemeyer zu sehen: Sie hat ein Schuhpaar von Thomas Zitzwitz gebrannt und farbig glasiert. Durch diese ergänzende Intervention entfremdet sich das Künstlerportrait weiter von seiner ursprünglichen Vorlage.

Thomas Zitzwitz beschäftigt sich seit 30 Jahren mit Geruchsarbeiten: Manchmal werden ganze Hallen mit von Parfumeuren für ihn entwickelten Gerüchen bespielt, oder aber einzelne seiner Malereien bestäubt, um einen weiteren Sinneskanal zu öffnen, bis hin zu einer komponierten Geruchsskulptur. In unserem Fall findet ein stummer Tanz der Aerosole im Treppenaufgang zwischen den beiden Räumen statt. Für La Valse hat er sich einen Readymade-Duft ausgesucht, der die Besucher zwischen den Etagen begleitet. Düfte wecken stets Erinnerungen in uns, hier teilt er ein sehr persönliches „Souvenir“.

Souterrain

Aus der aktuellen Serie seiner Rakelarbeiten hat Thomas Zitzwitz drei Mittelformate für das SMAC gemalt. Seit Mitte der 90er Jahre entstehen diese unbetitelten gegenstandsfreien Gemälde, bei denen es sich aufgrund der oft rein auf des Künstlers Erinnerung beruhenden Vorlagen dennoch um Bilder im Wortsinn handelt. Je nach Betrachtungsperspektive ändert sich unsere Wahrnehmung der Arbeit, erzielt durch die partielle Verwendung von Interferenzpigmenten und die durch den Prozess des Rakelns entstehende Haptik – in der Analogie zur Musik eher überlagert-polymetrisch als verlagert-synkopisch. Während in frühen Arbeiten noch Linien, vertikale und horizontale Bildaufteilungen dominierten, zeichnen sich die neueren Arbeiten neben einer intensiveren Palette durch freiere Formen und Flächen aus, so wie historisch der Walzer das Menuett als Gesellschaftstanz ablöste.

Korrespondierend zu den Dreierschritten im Hochparterre zeigt Olivia Berckemeyer im Untergeschoss drei ihrer Bronzearbeiten gewissermaßen als Konstellation auf See: zwei Schiffe und einen Brautstrauß. Installiert als Reigen auf blauen Podesten, nehmen sie das Synkopenmotiv in doppelter Form auf: Einerseits durch die Patina, die sich mit polierten Flächen abwechselt; dieses Zusammenspiel von Reflexion und Absorption beeinflusst die Wahrnehmung der Form, ähnlich einem Tempo rubato in der Musik, einer rein temporären Akzentverschiebung, ohne den Takt respektive die Form in seiner Reinform zu verändern. Andererseits durch die wachsfigurenartige Anmutung: Die Schiffe aus massiver Bronze scheinen vor unseren Augen zu schmelzen und zu verfließen, und wirken somit fragil und vergänglich, obwohl ihnen Temperaturen unter 1000 Grad Celsius vermutlich nichts anhaben dürften. Auch der Brautstrauß, den sicherlich nur wenige sicher und unverletzt werfen und fangen würden, symbolisiert sowohl die ewige Verbindung als auch das Vergängliche, Freude und Bürde gleichermaßen.

Analog zu Ravel beschränkt sich die Ausstellung nicht auf den Dreivierteltakt. Wenn die Musik einsetzt, entsteht sowohl Gemeinsamkeit als auch Reibung, Harmonie und Asymmetrie. Im Sinne der berühmten Wiener Aufforderung zum Tanz für jedermann: Alles Walzer!

 

Ausstellungskuration und Text: Peter Ungeheuer

*1967 in Höchstädt an der Donau, lebt und arbeitet in Berlin

Als unabhängiger Kurator hat er mehr als 40 Einzel- und Gruppenausstellungen mit mehr als 200 verschiedenen Künstlern an 20 verschiedenen Orten organisiert und kuratiert, hauptsächlich in Deutschland, aber auch in Österreich, Luxemburg, Portugal und Griechenland. In der Regel stehen die Ausstellungen unter einem bestimmten Thema, so dass die Besucher die Kunstwerke aus einer zusätzlichen Perspektive betrachten können. In den meisten Fällen werden die Werke speziell für die Ausstellungen in Zusammenarbeit und Diskussion mit den Künstlern geschaffen.
Er hat mehrere Dutzend Texte für institutionelle und kommerzielle Ausstellungen und Kataloge verfasst. Er hat sowohl mit Olivia Berckemeyer als auch Thomas Zitzwitz mehrfach zusammengearbeitet.