Interview mit Michael Samuels + GL Brierley

The Universe and the Particular // 14 September – 1 Oktober 2023

 
 

Es ist so konkret und doch so abstrakt.
Da ist Holz, Metall, LED, Material. Linie, Schnitt, Assemblage. Auch finden wir: Abstrakte Figuration, abjekte geworfene Motive, pastoses Öl, organische Striche, surreale Perspektiven.
 

 
 

SMAC: Eure beiden Ateliers befinden sich im selben Gebäude in London. Ich nehme an, Ihr kennt euch und die Arbeiten der/des anderen ziemlich gut.
Ist dies Eure erste Zusammenarbeit?

Michael Samuels: Ja, wir haben uns vor vielen Jahren in einem Atelierhaus kennengelernt. Nachdem ich meinen Master am Royal College of Art gemacht hatte, zog ich in mein jetziges Atelier. Damals war es noch einfach, in Hackney ein Atelier zu finden, heute ist es leider extrem schwierig. Wir unterhalten uns fast jeden Tag und teilen einen gewissen Sinn für Zynismus und Humor. Unser ganzes Ateliergebäude ist sehr sozial. Ich habe es noch nie verstanden, dass ein Künstler allein in seinem Atelier festsitzt. Ich liebe Gesellschaft und Besucher:innen. Wir haben schon früher zusammen ausgestellt, aber nicht in einer Zwei- Personen-Situation.

GL Brierley: Wir haben vor vielen Jahren eine gemeinsame Residency absolviert, sind in Kontakt geblieben und haben die Entwicklungen in der Arbeit des jeweils anderen verfolgt. Aber ja, dies ist unsere erste echte Zusammenarbeit.

Die Medien und Technik, die ästhetische Sprache und sogar die Themen, die Ihr wählt unterscheiden sich sehr stark. War es einfach, sich eure Werke im Dialog in einer gemeinsamen Ausstellung vorzustellen?

GLB: Unsere Arbeiten sind sehr unterschiedlich, aber ich denke, es gibt einige Überschneidungen. In unseren beiden Arbeiten geht es viel um Materialität (in meinem Fall um Farbe) und um die Gegen- überstellung unterschiedlicher Themen, die mit dem Absurden kokettieren. Wir scheinen die gleiche Arbeitsmethode zu haben, bei der wir jedem Stück erlauben, sich zu entwickeln, während wir experimentieren und offen für neue Ergebnisse bleiben.

MS: Wir haben anfangs beschlossen, unsere Arbeiten in der Ausstellung getrennt zu zeigen, mit Ausnahme einer Arbeit, die wir im Raum des anderen ausstellen würden. Wir hatten nicht die Absicht, einen Dialog zu führen, sondern eher eine Ausstellung über Ästhetik, über unsere gegensätzlichen Praktiken zu machen. Was uns verbindet, ist unsere malerische Herangehensweise mit unterschiedlichen Medien.

 
 

Der Titel der Ausstellung lautet "The Universe And The Particular". Er scheint sehr gut zu euren beiden Werken zu passen, auch wenn sie offensichtlich sehr unterschiedlich sind. Wer hat sich den Titel ausgedacht? Und was bedeutet er für Euch?

GLB: Michael hat sich den Titel ausgedacht und ich glaube, er war schockiert, als ich "JA" sagte! Für mich funktioniert der Titel deshalb so gut, weil er alle Bereiche anzusprechen scheint, die in unseren sehr unterschiedlichen Praktiken behandelt werden.

MS: Ich hatte den Satz schon ein paar Mal gehört und er hat sich in meinem Kopf festgesetzt. Ich bin immer auf der Suche nach Titeln, wir hatten eine Auswahlliste und haben uns für diesen entschieden. Für mich spiegelt er die Gesamtheit der Existenz wider, wie die meisten Dinge außerhalb unserer Kontrolle liegen, und die Vergeblichkeit dessen, was wir beide tun, indem wir ein Leben lang nach Perfektion suchen und gleichzeitig wissen, dass diese unerreichbar ist.

 
 

Oh, das finde ich interessant! Für mich war es die perfekte Beschreibung für Eure verschiedenen Praktiken. Denn beide stellen etwas sehr Spezielles und Unbekanntes dar, obwohl sie aus allgemein bekannten Einzelteilen bzw. Techniken produziert werden. Was bewundert Ihr am meisten an der Arbeit der/des Anderen?

MS: Wir haben völlig unterschiedliche Ansätze, aber wir respektieren sie natürlich sehr. Ich schätze Louises akribische Herangehensweise und ihre Leidenschaft für Farbe und ihren Prozess, die schönen, intensiven Oberflächen, die sie mit der Zeit schafft. Es gibt eine eindeutige Verbindung zwischen unseren Prozessen: wir beginnen beide gerne, ohne zu wissen, wie das Endergebnis aussehen wird, und es gibt immer Raum für Unfälle. Sie ist immer am Experimentieren.

GLB: Mir gefällt, dass er ständig in Bewegung ist, neue Ideen ausprobiert und sich immer wieder neue Objekte aneignet. Michaels Arbeiten haben eine Frische, eine kühne Einfachheit und einen guten Einsatz von Farben, und ich freue mich, wenn das auf mich reflektiert.

 
 

Michael, Du bist auch der Kurator der Ausstellung. Macht das Kuratieren deiner eigenen Arbeit den Prozess der Ausstellungsentwicklung schwieriger oder einfacher?

MS: Ich sehe das nicht so sehr als Kuratieren, ich betrachte es einfach als Zusammenarbeit mit einer Freundin, die ich bewundere. Dadurch wird der Prozess einfach. Wir kennen uns, seit ich angefangen habe, Kunst zu machen, und haben uns ganz ursprünglich in meinem ersten Atelier kennengelernt. Und treffen beide unsere visuelle Entscheidungen aus dem Stehgreif.

 
 

Louise, das erste Mal, dass ich über deine Arbeit gestolpert bin, war bei der berüchtigten NGORONGORO 2 Ausstellung 2018 in Berlin-Pankow. Aber nicht nur diese, Du hattest mehrere Ausstellungen in Deutschland und Berlin, aber hast in London studiert und arbeitest auch dort. Wie kommt das? Und wie ist deine Beziehung zu Berlin?

GLB: Meine Verbindung zu Berlin kam zuerst durch den Kurator Wolfgang Schoppmann zustande. Er hat mich sehr unterstützt und war maßgeblich daran beteiligt, meine Arbeiten einigen guten deutschen Sammlungen vorzustellen, darunter auch der Collectors Room/Olbricht Foundation. Zur gleichen Zeit lernte ich Stefanie und Andreas von der Galerie FWR in Berlin kennen, die mich ebenfalls unterstützten und mir mehrere Einzelausstellungen ermöglichten.

 
 
 
 
 
 
 

Wenn ich Deine Bilder anschaue, rufen sie in mir starke Emotionen hervor. Sie wirken auf mich wie verschwommene Erinnerungen an Träume, die ich einmal hatte, an die ich mich aber nicht mehr ganz erinnern kann. Deine Pinselstriche scheinen die Grenze zwischen dem Figürlichen und dem Abstrakten auf ganz eigene Weise zu überschreiten. Inwieweit beeinflusst das Unbewusste – entweder dein eigenes oder das Konzept – deine Praxis?

GLB: Alle Arbeiten sind erfunden und entstehen aus einem Gefühl heraus, aus einer Art innerem Dialog. Als ich jünger war, habe ich so viel gezeichnet, dass ich jetzt eine innere "Bibliothek" habe, aus der ich arbeiten kann. Ich habe das Glück, auf ein visuelles Gedächtnis zurückgreifen zu können, und das gibt mir eine Freiheit, die ich nicht hätte, wenn ich nach einer Fotografie arbeiten würde. Das Gemälde gibt vor, wie es in einem wechselseitigen Prozess ablaufen sollte. Meine einzige wirkliche Regel ist es, engagiert zu bleiben, das heißt, offen für Unfälle zu sein und neue Wege zu gehen, um sich selbst zu überraschen. Die "Figuren" kommen oft unaufgefordert, aber es fühlt sich an, als ob sie etwas sagen wollen.

Deine Motive scheinen still zu sein, vielleicht sogar abjekt, aber gleichzeitig bewegt und sehr lebendig. Betrachtest Du deine Bilder als Stillleben oder Porträts?

GLB: Ich muss eine verführerische Oberflächen- qualität beibehalten, was bedeutet, dass in den Spuren, die ich mache, Leben sein muss. Die Idee des Lichts ist sehr wichtig. Ich möchte nicht, dass das Bild so einfach kategorisiert werden kann. Wenn es also zwischen Porträt und Stillleben schwankt, dann fördere ich diese Spannung. Und ja, das Abjekte ist nie weit weg, ich mag die Dichotomie von Schönheit
und Abstoßung.

So wie die – nennen wir sie ... Figuren in deinen Werken schwer zu fassen sind, so sind es auch die umgebenden Räume und Perspektiven. Woher kommen die? Was inspiriert Dich zu den Szenerien, Farben und Strukturen?

GLB: Die "Szenen" sind von vielen Dingen inspiriert: Theaterkulissen, modernistische Architektur, Interieurs der 1970er Jahre, Hackney Marshes … sie ergeben sich aus den ersten Zeichen, die ich mache, und sind immer erfunden. Manchmal sitze ich auf dem Boden und arbeite dort, das gibt eine kindliche Freiheit. Die Farbe kann feuchter sein und leicht außer Kontrolle geraten, was aufregend ist. Ein bisschen wie ein entlaufenes Pferd zu reiten. Die Nässe der Farbe ermöglicht alchemistische Reaktionen.

Wie sieht es mit anderen Künstlern aus? Wer hat Euch sonst noch beeinflusst und inspiriert? Habt Ihr Vorbilder? Gibt es eine Tradition, in die Ihr euch stellt?

GLB: Ich denke, unsere Einflüsse könnten nicht unterschiedlicher sein, abgesehen davon, dass wir beide von der Architektur der Moderne und des Brutalismus angezogen sind. Meine Arbeit kommt aus der Tradition der Alten Meister, wo ich Öl auf Tafel und Hell-Dunkel-Malerei verwende. Meine Helden stammen aus der Vergangenheit, Goya, Hammershoi, die Fotografien von Kusakabe Kimbei, Bühnenbilder von Caspar Neher ...

MS: Ich lasse mich nicht wirklich inspirieren, gelegentlich berührt mich ein Werk, und dann weiß ich, dass es gut ist. Ich sehe eine Menge Kunst, und viele Arbeiten sind abgeleitet. Ich mag Originalität und Wahrheit im Material. Manchmal ist es besser, je weniger man weiß, wenn man versucht, anders zu sein. Davon abgesehen, liebe ich Robert Rauschenberg, Doris Salcedo, Carol Bove.

Gibt es auch Antagonisten?

MS: Meine Liste der Antagonisten ist länger als die meiner Idole.

Apropos Rauschenberg: Deine Werke wirken auf mich ziemlich ordentlich und extrem sauber produziert. Bist du ein großer Perfektionist?

MS: Ja, ich bin eine Art Perfektionist, ein Kontrollfreak. Es macht mir viel Freude, Dinge herzustellen und meine Hände zu benutzen. Die Sache ist die, dass es nie perfekt ist. Wenn ich jemals denken würde, dass es das wäre, würde ich aufhören, etwas herzustellen. Das liegt in der Natur unserer Arbeit: Man strebt nach Perfektion, aber man erreicht sie nie. Wenn man denkt, dass man Perfektion erreicht hat, macht man etwas falsch.

 
 

Entwickelst Du zuerst ein Konzept und suchst dann nach den richtigen Fragmenten, oder leiten deine Materialien den Prozess?

MS: Die Materialien leiten den Prozess definitiv. In der Regel, und das habe ich aus Erfahrung gelernt, plane, zeichne oder denke ich nie voraus. Ich sehe keinen Grund zu wissen, wie das Endergebnis aussehen wird, bevor ich überhaupt angefangen habe. Es ist eine performative Praxis, mit Materialien zu arbeiten, die im Atelier liegen, und das geschieht ganz unmittelbar. Für das zweite Ngorongoro wurde ich eingeladen, etwas Großes zu machen, eine Gelegenheit, die ich gerne wahrnahm. Mein Atelier ist nicht groß, und wenn ich etwas Großes mache, kann ich es nicht im Atelier fertigstellen oder fertiggestellt sehen. Es gelang mir, mehr als 35 alte Leitern zu besorgen, die alle flach in den Kofferraum eines Lieferwagens gepackt wurden. Als wir in Berlin ankamen, habe ich sie alle mit Klammern und Kabelbindern zu einer
10 Meter langen Struktur zusammengebunden. Das war alles an einem Tag gemacht, sehr performativ, lustig und befriedigend. Es war meine Idee einer riesigen Zeichnung, bei der ich vorgefertigte Objekte mit Geschichte benutzte, um einen riesigen Raum zu füllen.

Wo findest Du solche Materialien?

MS: Ich kaufe meine Materialien sorgfältig ein. Ich kaufe Dinge auf eBay, ohne eine bestimmte Absicht zu haben, was ich mit ihnen machen will. Sie liegen
im Atelier, bis ich sie benutze. Manchmal verwende ich sie auch gar nicht. Einige meiner erfolgreichsten Arbeiten entstehen innerhalb weniger Stunden. Ich halte mich von traditionellem Kunstmaterial fern, da es für mich zu viel Ballast mit sich bringt, und ich möchte eine einzigartige Bildsprache haben. Ich verwende gerne Dinge von außerhalb des Ateliers, Haushaltsgegenstände, Readymades, Möbel aus der Mitte des Jahrhunderts, Buchdruckschubladen usw., indem ich funktionale Objekte in nicht-funktionale Objekte umwandle. Ich wechsle oft das Medium, um mein Interesse aufrechtzuerhalten. In der Welt der kommerziellen Galerien hat der Wechsel seine Nachteile, denn sie mögen oft immer wieder die gleichen Dinge, wenn sie sich gut verkaufen. Aber ich möchte immer widersprüchlich sein, mich nicht wiederholen.

 
 
 

Deine Skulpturen wirken wie collagierte Ready-Mades, die du zerschneidest, zerschlägst und wieder zusammensetzt, um etwas Neues zu schaffen. Was passiert mit den Teilen, die abgeschnitten werden und übrig bleiben?

MS: Ich bin schrecklich darin, im Atelier Dinge wegzuwerfen. Ich behalte zu viel, aber ab und zu räume ich auch mal aus. Oft finde ich Arbeit in etwas, das ich bereits zerstört oder umgestaltet habe.

Sind deine Arbeiten politische, soziale oder ästhetische Kommentare?

MS: Ich denke, das müssen andere entscheiden. Ich habe hauptsächlich einen ästhetischen Ansatz der alten Schule, alles ist sehr unmittelbar. In dem Moment, in dem ich lesen muss, um das Werk eines Künstlers zu verstehen, bin ich verloren. Ich habe eine rein visuelle und taktile Einstellung zu meiner Arbeit.

Die Arbeiten wirken auf mich wie echte Charaktere mit einem starken Willen. Führst Du Gespräche mit ihnen? Und wenn ja, was erzählen sie Dir?

MS: Nein, es ist eine Hassliebe. Oft gefällt mir das, was ich gemacht habe, zwei Wochen nach der Fertigstellung nicht mehr, aber das gibt mir den Anstoß, weiter zu machen und zu experimentieren, und sobald ein Werk fertig ist, kehre ich nie wieder
zu ihm zurück.

 
 
 

Interview: Hilka Dirks
Fotos: Michael Samuels, GL Brierley
Übersetzung: Hilka Dirks