Smac Interview Gruppe 1.jpg
 


Interview mit Klasse Specker

In dieser rasanten Welt, ist das Innehalten eine Kunst für sich: Zehn Studierende der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) machen Halt in Berlin und prüfen, was gerade ist. Die Fotografie-Klasse von Professorin und Künstlerin Heidi Specker beschränkt sich dabei nicht nur auf ein Medium, sondern erforscht die Grenzen von Wahrnehmung und Ausdruck. Specker selbst studierte einst an der HGB und war Mitte der Neunziger mit ihrer Serie “Speckergruppen” bekannt geworden, die das markante Gesicht der Berliner Nachkriegsarchitektur einfängt.

Als Gruppe verstreut über Leipzig bis Berlin, teilen Speckers Studierende mit uns einige Gedanken zu der Ausstellung, der Arbeitsweise ihrer Gruppe und ihren Werken.

 

Interview: Leonie Haenchen

 
 

 
 

SMAC: Eure Ausstellung im SMAC trägt den Titel “LET US STOP HERE”. Im Text dazu geht es um “Momente des Pausierens”. Inwiefern kommt das Innehalten bei diesem Ausstellungsprojekt zum tragen?

Roman Häbler: Der Titel bezieht sich auf zwei Dinge: einmal, dass wir als Leipziger Klasse hier anhalten und in Berlin das zusammentragen, an dem wir gerade arbeiten. Gleichzeitig thematisieren wir den Moment der Reflektion selbst. Obwohl das Medium Fotografie es bereits in sich trägt, Momente einzufrieren, fragen wir auch: Was kann man überhaupt aufnehmen, im wahrsten Sinne des Wortes? In einem größeren Kontext – ohne das allen Arbeiten politisch überstülpen zu wollen – ist die Ausstellung natürlich auch Reaktion auf eine Welt, in der alles krass schnell geht. Eine Welt, in der man genau aufpassen muss, was als nächstes passiert – das ist nicht als Warnung gemeint, sondern eher als gemeinsame Aufforderung, genauer hinzuschauen.

 
 

Alisa Kossak: Das erschließt sich auch in dem Moment, in dem man die Ausstellung betritt. Allein die Entscheidung, dahin zu gehen und Kunst zu schauen, kann schon ein Moment des aktiven Pausierens sein: sich die Zeit nehmen für eine künstlerische Position, die sich ja umgedreht auch Zeit genommen hat.

Sunny Pudert: Ich finde an dem Titel spannend, dass nicht nur wir als Gruppe gemeinsam innegehalten haben. Das “us” bezieht auch die Betrachter und Betrachterinnen mit ein. Es wäre schön, wenn sich eine gemeinsame Reflektion am Eröffnungsabend ergibt.

Alisa Kossak: Zusätzlich zur Ausstellung werden sechzehn Fotografien der gesamten Klasse im Stadtraum verteilt, womit auch die vertreten sein werden, die nicht im SMAC ausstellen. Diese gibt es dann im Posterformat als Edition bei SMAC zu kaufen.

 
Smac Interview 21 Quer.jpg
Ich finde an dem Titel spannend, dass nicht nur wir als Gruppe gemeinsam innegehalten haben. Das “us” bezieht auch die Betrachter und Betrachterinnen mit ein.
 

Gibt es bei Euch in der Gruppe Schnittpunkte in der Arbeitsweise oder hat jeder bereits seinen ganz eigenen Weg gefunden?

Roman Häbler: Für mich machen gerade die unterschiedlichen Arbeitsweisen die Klasse aus. Einige sind sehr nahe an der Fotografie. Manche reflektieren, wie sich das Medium Bild weiterentwickelt hat und wie es heute genutzt wird, arbeiten digital oder mit den sozialen Medien. Andere wiederum haben irgendwann angefangen, neue Formate auszuprobieren. Auch wenn unsere Professorin [Heidi Specker] sehr fotografisch arbeitet, heißt das nicht, dass die Einflüsse nicht von überall her kommen können. An unserer Hochschule herrscht durchaus der Anspruch, das Fotografieren nicht als reines Dokumentieren zu sehen, sondern auch das Bild an sich zu befragen.

Alisa Kossak: Ich würde das unterstreichen: Was den Stil unserer Klasse ausmacht, ist, dass wir teilweise medienübergreifend arbeiten und uns auch trauen, uns mal von der Fotografie wegzubewegen – vielleicht sogar das Bedürfnis haben, aus dem fotografischen Bild herauszutreten und sich mittels Skulpturen, Audio oder Video künstlerisch auszudrücken.

Juli Schmidt: Als wir uns alle gegenseitig unsere Projekte für die Ausstellung vorgestellt haben, habe ich in jeder der Arbeiten einen sehr weichen, stimmungsvollen Moment wahrgenommen, selbst wenn der nur ganz kurz aufblitzt. Schon dieser kleine Einblick kann zeigen, was der Person vielleicht wichtig ist.

Was für Arbeiten werden Ihr vorstellen?

Jana Mila Lippitz: Meine Audioarbeit besteht aus zwei Texten: “Das Zimmer” (ca. 5:00 min) und “Das Haus” (ca. 8:00 min), welche über Kopfhörer im Loop zu hören sind. Mich interessiert eine Form der Erzählung, die nicht linear ist. Dabei gehe ich von einer Welt aus, die ich niemals in ihrer Ganzheit (be-)greifen kann; von einer Welt, deren Sinn sich mir immer wieder entzieht. Beide Texte beginnen mit einem Ich, das sich erinnert oder das auf etwas blickt. Ein Ich, das still und leise beobachtet und beschreibt – vielleicht nüchtern, vielleicht zärtlich. Die Erinnerung ist trügerisch. Sie vermischt sich mit anderen Erinnerungen, mit Vorstellungen, Sehnsüchten, wird überlagert, widerspricht sich, korrigiert sich, erinnert sich erneut. Die Texte sind geprägt von Elementen des Sich-zurück-Vergewisserns, des erneuten Blickens, vom neu ansetzen und wiederholen. Das Ich in meinen Texten ist wichtig: es deutet darauf hin, dass es immer eine Instanz gibt, die von außen auf etwas blickt. Damit sind meine Arbeiten gleichzeitig Bilder und Momentaufnahmen.

 
 
Smac Interview 1.jpg
Smac Interview 18 Quer.jpg
 
 
Smac Interview 6 .jpg
 
An unserer Hochschule herrscht durchaus der Anspruch, das Fotografieren nicht als reines Dokumentieren zu sehen, sondern auch das Bild an sich zu befragen.
 

Hyejeong Yoo: Meine Arbeit trägt den Arbeitstitel: “deine Arme um meine Schultern”. In Korea werden wir als Baby auf dem Rücken unserer Eltern getragen. Auch wenn wir erwachsen sind, trägt in einigen Situationen der Stärkere den Schwächeren. Beide können einander nicht bequem ansehen und die tragende Person muss das gesamte Gewicht der Getragenen übernehmen. Es ist eine Last, noch einen Schritt weiter zu gehen, aber auch der einfachste Weg, um die Existenz beider zu fühlen.

Alexander Meyer: Meine Bildergruppe vereint die Arbeiten “Reader”, “handle” und “Triptychon of View”, die sich wie ein Satz unter dem Titel “purpose” formieren.
Die Bildergruppe beabsichtigt nicht nur zu fragen, was wir sehen, sondern auch wie, und von welcher Haptik der Vorgang und das Gefühl des Sehens begleitet wird. Das das erste Bild (“Reader”) zeigt offensichtlich Digitales und bildet wie ein Ausrufezeichen und Fragezeichen den Auftakt. Darauf folgt eine Hand (“handle”), welche die Betrachter und Betrachterinnen und auch die digital konditionierte Hand rätselhaft zurücklässt. Damit rahmt sie die Arbeit “Triptychon of View”, die den abtastenden Blick auf ein leeres, analoges Werbeplakats zeigt. Der Titel “purpose” verweist mit seiner Mehrdeutigkeit (Gegenstand, Zweck) auch auf unsere Selbstbestimmtheit gegenüber körperlichen sowie technischen Vorgängen und Erscheinungen.

Tim Deniz Heide: Ich zeige eine Videoarbeit mit dem Titel “Die Lücke”.
Die Arbeit überführt eine Szene aus Billy Wilders Sunset Boulevard in die Gegenwart. Diese zeigt Betty, die ihrem Co-Worker Gillis in der gemeinsamen Mittagspause von ihrer schönen Nase berichtet.

Leonie Viola Janssen: Ich beschäftige mich in meiner Arbeit mit der Ambivalenz zwischen dem menschlichem Begehren nach haptischen, physischen Erfahrungen und sinnlicher Wahrnehmung auf der einen Seite, und der zunehmenden Sterilität unserer (Kontakt-)Oberflächen auf der anderen. Ich stelle Fragen nach der sinnlichen Präsenz in virtuellen Räumen, welche sich nur noch über die Oberfläche von Screens erreichen lassen. Die Arbeit spielt mit unbewussten Vorstellungen und Sehnsüchten nach Berührung sowie der Ästhetik von Oberflächen.

 
Smac Interview 11.jpg
 
Smac Interview 17.jpg
Eine Welt, in der man genau aufpassen muss, was als nächstes passiert – das ist nicht als Warnung gemeint, sondern eher als gemeinsame Aufforderung, genauer hinzuschauen.
 

Susann Busch: Den beiden Arbeiten “deutsche Landschaften” und “Hase” liegt die Beschäftigung mit Aspekten der Sprache zugrunde. Das Ausgangsmaterial beider Werke stammt aus den sozialen Netzwerken. Während die Arbeit "deutsche Landschaften” die Landschaft als Konstrukt thematisiert und sichtbar machen will, nimmt die Stickarbeit “Hase” direkten Bezug auf die Sprache und versucht eine Absurdität fassbar zu machen.

Alisa Kossak: Ich zeige eine raum-spezifische Arbeit, die sich mit dem Moment des Ausstellungsbesuches beschäftigt. Hierbei hinterfrage ich die Rolle und Verortung der BesucherIn, sowie die Wechselwirkung zwischen Kunstwerk, RezipientIn und KünstlerIn. Die Arbeit zeigt auch das Innehalten, das Pausieren in Form von Texten, die verschiedenen Ablenkungs- und Aufmerksamkeitsmomente ansprechen. Gleichzeitig thematisiere ich das fotografische Bild als Rahmengeber und Platzhalter indem ich ein grafisches Element mit einbringe: Das Bildkreuz ist ein Platzhalter, den man aus digitalen Bildbearbeitungsprogrammen kennt und an dessen Stelle man jede Art von Bild hineinziehen und somit hineindenken kann. Im weitesten Sinne könnte dies auch als Verweis auf zirkulierenden Bildwelten gesehen werden.

Roman Häbler: Meine Arbeit heißt “Going, going, gone.”, die als Fotopublikation mit Bildern aus meinem Archiv der letzten fünf Jahre präsentiert wird. Die Arbeit ist persönlich-autobiographisch und entstand aus einer Zeit mit vielen Verlusten heraus. Der Titel hat mehrere zeitliche Ebenen, was die Bewegung des Ganzen vorgibt. Ich bringe damit Bilder, die ich vor langer Zeit gemacht habe, Bilder aus Familienalben und aktuelle Werke zusammen. Darin soll weniger die Trauer an sich stecken, sondern vor allem Momente, die einen davon geprägt im Alltag begleiten. Dabei wird jedoch nicht ausformuliert, was mir passiert ist, was Erinnerung und was Fiktion ist.

Sunny Pudert: Ich zeige eine Fotografie und eine Audioarbeit. Das Bild ist für mich eine Metapher für die Gesellschaft und für die Zeit, in der wir leben. Gleichzeitig hat es für mich etwas sehr Surreales. In der Audioarbeit benutze ich meine Stimme, um fragmentarisch gesellschaftliche Tendenzen zu thematisieren. Ich spreche in der Arbeit allerdings nicht nur aus meiner eigenen Perspektive, sondern nehme auch eine allgemein beobachtende Position ein.

Juli Schmidt: Die Arbeit “I had a hole in the middle where the lightning went through” zeigt ein Objekt und einen Digitalprint, der auf Satinstoff gedruckt ist. Die Idee dazu entstand Ende letzten Jahres während eines Austauschprogramms mit dem Goethe Institut Mumbai in Ahmedabad, Indien. Die Stadt gilt noch immer als Industriemetropole und ist ein bedeutendes Handelszentrum für Textilien. Der Aufenthalt diente vor allem der Recherche. Ich bin auf viele spannende Geschichten gestoßen und konnte einige Ideen entwickeln, an deren Umsetzung ich momentan in Berlin arbeite. Stoff ist in seiner Funktion als Display überaus spannend und ein extrem vielfältiges und weiches Material, mit dem sich sehr intensiv arbeiten lässt. Formen, umformen und neu zusammensetzen sind dabei wichtige Aspekte meiner Arbeit. Für die Ausstellung ist ein Objekt entstanden, das sehr figürlich, ja fast menschlich wirkt und das ich als eine Art Hülle oder Kokon verstehe.

 
 
Smac Interview 9.jpg
 
Smac Interview 20 Quer.jpg
 
Smac Interview 13b.jpg
 
 
Was den Stil unserer Klasse ausmacht, ist, dass wir teilweise medienübergreifend arbeiten und uns auch trauen, uns mal von der Fotografie wegzubewegen
Smac Interview 23 Quer.jpg
 
 
 

Interview: Leonie Haenchen
Photos: Sophie Meuresch